Anlässlich des 120. Geburtstags von Hermann Henselmann am 3. Februar 2025 würdigen wir das Erbe eines visionären Architekten, dessen Werke die Stadtsilhouetten von Berlin, Magdeburg, Jena und Leipzig bis heute prägen. Die Inspiration und der Einfluss, die Henselmann auf Architektur und Stadtentwicklung hinterlassen hat, sind nach wie vor Gegenstand lebhafter Diskussionen, Veröffentlichungen und Auseinandersetzungen – nicht nur unter Architekten, sondern auch in weiteren Kreisen.

In seinem Werkverzeichnis nimmt das Jahr 1931 eine zentrale Stellung ein, in dem das Haus KENWIN verzeichnet ist. Der Name ist ein Kunstwort, das sich aus den Förderern und Bauherren Kenneth (Filmemacher) und Winifred (Schriftstellerin) ableitet und sich in Montreux befindet. Ende der 1920er Jahre erhielt Hermann Henselmann gemeinsam mit dem ungarischen Filmarchitekten Alexander Ferenczy den Auftrag für die Villa KENWIN.

Die Villa KENWIN gilt als ein Wahrzeichen der Bauhaus-Bewegung in der Schweiz und bietet auf vier Ebenen 550 m² Wohnfläche. Eine herrliche Dachterrasse krönt das Gebäude und gewährt einen spektakulären Ausblick auf den Genfersee und das umliegende Bergpanorama.

Zwei Reisen von Hermann Henselmann mit seiner großen Liebe und späteren Ehefrau Isi nach Montreux sind in der Familie und im Freundeskreis oft erzählt worden. Die erste Flugreise führte Henselmann 1931 mit der 16-jährigen Isi, kurz nach dem Tod ihres Vaters, von Berlin nach Montreux. Das Haus KENWIN stand kurz vor der Abnahme, und Isi hatte die Gelegenheit, als erste deutsche Kollegin das Haus zu begutachten – eine Tatsache, die ihre kritische Haltung widerspiegelt, wie sie sich erinnert.

Isi und Hermann schilderten dieses Flugabenteuer von Berlin nach Genf, mit einer Zwischenlandung in Leipzig, lebhaft. Isi beschreibt in ihrem Buch „Meine große Familie“:

„Unser Maschinchen torkelte durch Luftlöcher und über wunderschöne Landschaften. Henselmann rief mir ständig Ortsnamen, Flussnamen und Bezeichnungen von waldreichen Gebirgen zu, bis es mir zu viel wurde. ‚Bitte störe mich nicht beim Betrachten all der Schönheiten da unten, es ist doch völlig gleichgültig, wie das alles heißt!‘ Er war maßlos verwundert über meine Ignoranz gegenüber konkretem Wissen.“

Im Jahr 1987 hatte die Villa KENWIN einen neuen Besitzer, den Schweizer Architekten Giovanni Pezzoli, der das Gebäude in seinem ursprünglichen Glanz restaurierte und den poetischen Charakter des Komplexes mit Blick auf den Genfersee wiederherstellte. Hermann Henselmann war eng in die Rekonstruktion eingebunden und stellte sicher, dass alles wieder seinem ursprünglichen Entwurf entsprach.

Im Herbst 1987 war die Rekonstruktion vollendet, und Isi sowie Hermann Henselmann reisten zu ihrer zweiten Flugreise in die Schweiz, um als Ehrengäste von Giovanni Pezzoli in Montreux zu sein. Die Entwicklung des Flugwesens seit den 30er Jahren machte diese Reise unauffällig.

Die vielbeachtete Restaurierung führte dazu, dass das Haus am 24. Oktober 1987 während eines Festaktes in die Liste der Schweizer „Liegenschaften von nationaler Bedeutung“ aufgenommen wurde, wodurch dem Bauwerk aufgrund seines denkmalgeschützten Wertes als avantgardistische Architektur Schutz gewährt wurde.

1987 war Montreux für viele DDR-Bürger noch ein unerreichbares Ziel, und SMS oder WhatsApp waren unbekannt. Daher freuten wir uns in Berlin sehr über eine Ansichtskarte, die uns Isi Henselmann von diesem Ereignis in Montreux geschickt hatte.

Zeitsprung: Weihnachtszeit 1998. Die Schweiz ist von Berlin aus mit dem ICE direkt erreichbar, und ich fuhr mit dem Zug nach Montreux, um die Villa KENWIN in der „Chemin du Vallon 19“ kennenzulernen. Isi Henselmann ermunterte mich oft, nach Montreux zu fahren, um dem Architekten Giovanni Pezzoli das Buch „Ich habe Vorschläge gemacht“, das zum 90. Geburtstag von Hermann Henselmann erschien, zu überbringen. Dieses Buch bietet einen unverstellten Blick auf die Person und das Werk und zeigt den „ganzen“ Henselmann. Hermann Henselmann war im Januar 1995, kurz vor seinem 90. Geburtstag, verstorben.

Leider konnte ich das Buch nicht persönlich an Giovanni Pezzoli übergeben; unsere Terminkalender passten im Dezember 1998 nicht zusammen.

Wie im Internet beim Galiani Verlag Berlin zu erfahren ist, erscheint im Februar dieses Jahres der neue Roman „Die Allee“ von Florentine Anders, einer Enkelin von Isi und Hermann Henselmann. Das Buch wird als aufwühlend und geschichtensatt angekündigt und wir sind gespannt, ob auch die beiden Reisen von Isi und Hermann Henselmann nach Montreux darin in neuem Licht dargestellt werden.

© vomue 2025


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